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Souvenir | |||||||||||
„verweile doch, du bist so schön“ Ein Souvenir ist ein Andenken, ein Erinnerungsstück. Der fundamentale Vorgang des Erinnerns wird mit dem Souvenir an einen materiellen Gegenstand geknüpft, der als Speicher latente Erinnerung an sich trägt, die jederzeit abrufbar ist: ein Blick auf das Souvenir genügt, um „Erinnerung“ freizusetzen. Erinnerung als Erinnern von Erfahrungen ist substantiell lebensnotwendig. Zu Beginn des altägyptischen Reiches zwang die Not die Einwohner des Nillandes, mittels eines Nilometers zu bestimmten Jahreszeiten den Wasserstand des Nils zu messen. Aufgrund der Messungen, konnten Voraussagen über die Intensität der Überschwemmungen und damit über die zu erwartende Fruchtbarkeit gemacht werden. Die Markierungen am Nilometer dienten der Erinnerung, die sich anschließend abstrakter, als hieroglyphisches und numerisches Zeichen, auf Papyri niederschlug. Sprache, Schrift und Zahlensystem standen im Dienst der Erinnerung, der Speicherung und der Archivierung, die für die Planung und Beherrschung der unmittelbaren Zukunft unabdingbar waren. Geschichtsschreibung als kollektives Gedächtnis so subjektiv sie auch sein mag und immer bleiben wird ist von eminenter Bedeutung für unseren permanent unternommenen Versuch der Selbsteinschätzung und Selbsteinordnung. Der Wunsch nach einer Bestimmung der eigenen Position scheint ein Grundbedürfnis des Menschen zu sein, die sich der eigenen Existenz so gut wie möglich zu versichern versuchen (wenn schon nicht absolut, dann zumindest relativ). Wir finden dieses Bedürfnis auf allen Ebenen, von der staatlichen Einheit bis hin zum Individuum. Es geht einher mit der Hoffnung, sich zumindest ein kleines Stück der Welt anzueignen, in dem Wunsch, zu er-innern, zu besitzen, sich eines Anteil-Habens vergewissern zu dürfen. Eine verinnerlichende Aneignung von Orten und Räumen ist nicht über das primitive Mittel des käuflichen Erwerbs zu erreichen (selbst dem vollen Portemonnaie steht nur wenig zum Kauf an). Sie kann lediglich über die Zeit erfolgen, die nur über die Erinnerung erfahrbar wird. Der Augenblick selbst („verweile doch, du bist so schön“) entzieht sich uns und wird eigentlich erst in der Erinnerung als erfahrener Augenblick wirksam. Oder nicht? Die Fotografie (und mit ihr die Videografie) vermittelt uns die Illusion, jeden beliebigen Augenblick festhalten zu können. Damit tritt sie automatisch in schärfste Konkurrenz zum ebenfalls reproduzierend - arbeitenden Gedächtnis und dessen Erinnerungs-Fähigkeit. In einer Kultur, die von positivistischen Idealen wie Messbarkeit, formaler Exaktheit, enzyklopädischer Vollständigkeit und der Idee geprägt ist, dass Qualifizierbarkeit eine Funktion der Quantifizierbarkeit sei, musste das foto- und videografische Erinnern dem als allzu subjektiv eingeschätzten Erinnerungsvermögen des menschlichen Gedächtnisses den Rang ablaufen. Die Welt lässt sich scheinbar fotografisch aneignen, das Foto hat die Rolle des Gedächtnisses und seines anderen bislang hoch im Kurs stehenden Hilfsmittels, der Schrift, weitgehend übernommen und beansprucht für sich größte Authentizität. Sehr offensichtlich wird die Bedeutung des Fotos im Bereich des Tourismus, wo alljährlich milliardenfach zum Zweck des Speicherns Fotos aufgenommen werden. Die fotografische Aufnahme der Sehenswürdigkeit dient mit oder ohne Bild des Touristen als Beleg des dort gewesen Seins; als Dokument wird das Foto sogar zur einzig bleibenden Realität. Die Aufnahme verspricht Aneignung von Dingen, die sonst nie in Besitz zu nehmen wären. Es vollzieht sich ein autosuggestiver Vorgang magischer Inbesitznahme. Augenblicke vergangener Gegenwart lasen sich auf ewig einfrieren und in jeder beliebigen zukünftigen Gegenwart wieder abrufen, verbunden mit der Hoffnung auf eine komplette Re-Aktivierung des vergangenen Augenblicks. Dieser reduziert sich aber zwangsläufig auf den im Foto festgehaltenen Augenblick; bereits ihre sprachliche und schriftliche Fixierung nimmt gewesenen Augenblicken Substanz und höhlt sie aus beim Foto fällt zudem noch die Möglichkeit weg, sich die bildhafte Ausgestaltung des Erzählten oder Gelesenen vorzustellen. Die Fotografie/Videografie trägt also zur Verarmung des Erinnerungsvermögens bei. Das Erinnerungsfoto steht als Surrogat für einen Augenblick, es gibt nur vermeintlich die erlebte Realität wieder: „Nicht die Fremde teilt sich uns mit, unsere fotografischen Bilder von ihr tun es. Im Grunde entschlüsseln wir auch bei der Betrachtung von Reisefotos eigentlich nur uns selbst.“ 2 Die Hoffnung auf eine realitätsadäquate Selbstbestimmung und Selbstversicherung mittels fotografischer Erinnerung verfängt sich im Netz der Selbstrückbezüglichkeit. Die Gegenwart spielt also nur eine untergeordnete Rolle, da sie nicht „gehabt“ werden kann, eben nicht bleibt, sondern nur der Augenblick ist. Dieser Augenblick wird erst gültig als gewesener, erst das fotografische Bild stellt seinen sicheren „Besitz“ dar. 3 Vor Ort, am Ziel ihrer touristischen Träume angelangt, sind deswegen die meisten Menschen nur damit beschäftigt Fotos und andere Souvenirs aufzunehmen; eingedenk der Flüchtigkeit der Flüchtigkeit des Augenblicks ist es unökonomisch, vor Ort diejenigen Eindrücke zu sammeln, an welche die Souvenirs eigentlich erinnern sollten4 ; es scheint vernünftiger in der Gegenwart an die Zukunft zu denken und sich schnellstmöglich die notwendigen Wirklichkeits-Surrogate zu beschaffen. Die Gegenwart reduziert sich zur conditio sine qua non für ihre als ewig in Aussicht gestellte Aneignungsmöglichkeit in der Zukunft.5 In ihr zu verweilen ist unmöglich und scheint auch unnötig, schließlich bleibt sie konserviert, so dass man ja jederzeit auf sie zurückgreifen kann; je schneller man sie hinter sich lässt, desto schneller kann man auf sie zurückgreifen. (Merkwürdige Rückkopplungen ergeben sich bei parallel zur Lebenszeit aufgenommenen Aufzeichnungen der Gegenwart (Video), zumal wenn sie von den Aufgezeichneten in Realzeit verfolgt werden können und somit deren Verhalten bestimmen.) Gegenwart hat nur Aussicht auf Realität, wenn sie historisierend konserviert (fotografiert oder videografiert) wird. Die Präsenz des Touristen vor Ort lässt sich nicht nur mit Fotos oder Videos belegen. Als mittelbarer Beweis für das Dagewesen-Sein gilt auch ein Souvenir-Objekt, das käuflich zu erwerben ist und die besuchte Sehenswürdigkeit zwei- oder dreidimensional abbildet mithin Kitsch. Kitsch findet gemeinhin als negativ besetzter Begriff Verwendung, er wird als von der Kunst abgegrenzt verstanden. Im Sinne von „Nicht-Kunst“, als Negation des (authentischen) Kunstwerks tritt er in gewissem Maß gar als Komplement zur Kunst auf. Abgesehen von seiner politischen und gesellschaftlichen Funktion besitzt Kitsch eine ästhetische Funktion (nie ist ein kitschiger Gegenstand mit einem reinen Gebrauchsgegenstand äquivalent). Die Übereinkunft hinsichtlich dessen, was Kitsch ist, ist (ähnlich wie bei dem Phänomen Kunst) geschmacksgebunden, also abhängig von Sozialisation und Erfahrungshorizont derer, die sich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort ein Geschmacksurteil bilden.6 Kitsch scheint weniger eine Sache zu sein, als vielmehr eine ihr gegenüber eingenommene (qualifizierende) Haltung. Grundsätzlich wird ihm (nicht zuletzt von der jeweils herrschenden „Tyrannei des guten Geschmacks“ ) der ästhetische Wert abgesprochen. Doch sind Gestalt und Material des Kitsch-Objekts zweitrangig, umso wichtiger ist seine Bedeutung: im kitschigen Souvenir wird das unerreichbare real. Das Kitsch-Objekt wird von seinem Besitzer fetischisiert und zur eigenen und damit eigentlichen Wirklichkeit gemacht. Aus Furcht vor dem Verlust seines Selbst versucht sich das Subjekt (das dem Tod und dem Vergessen-Werden ausgeliefert ist) durch Kitsch zu erhöhen, um so die Leere an existentiellen Werten angesichts seiner Vergänglichkeit auszufüllen und der Zukunft mittels der Vergangenheit (Souvenir) gefestigter entgegenzutreten; das Andenken verleiht Rückhalt in der Auseinandersetzung mit der Umwelt deshalb erfreut sich Kitsch als Rezept gegen Lebensangst seiner ungemeinen Beliebtheit. Das „Sammeln der Welt“ zum Zweck ihrer Aneignung wird von Andreas Eucker und Frank Udo Tielmann in der Installation „Souvenir“ thematisiert, wo sie sich selbst als „attraktiven touristischen Ort“ darstellen und ironisch und hintersinnig die Wallfahrt zum Ort der Kunst respektive der touristischen Sehenswürdigkeit aufs Korn nehmen. Sie sind Künstler und Kunst, setzendes Subjekt und gesetztes Objekt in einem: als multiples Objekt stehen sie zur Disposition und liegen zum Kauf aus die Künstler selbst werden zur Ware. Analog zum Surrogat einer verehrten Sehenswürdigkeit in Gestalt eines Fotos, Videos oder von Souvenir-Kitsch lassen sich Eucker/Tielmann zwar in Form einer Schneekugel, eines Lebkuchenherzens oder einer Birkenholztafel käuflich erwerben, aneignen im oben besprochenen Sinne lassen sich hierbei aber weder die Künstler selbst noch ihre Kunst. Selbst käuflicher Erwerb (und damit Besitz) ist noch kein Garant für die Aneignung von Kunst. (Mit anderen Worten: Der Erwerb einer Jagdtrophäe sagt noch nichts darüber aus, wer die Trophäe geschossen hat.) Eucker/Tielmann durchstoßen das Regelsystem des Originals, das her und über jede Kritik erhaben im musealen Kontext wirkt, und seiner Reproduktionen, die im Museumsshop dem nach Aneignung lechzenden Publikum feilgeboten werden. Sie verzichten auf das „Original“ und setzen sein Surrogat an seine Stelle, unterlaufen damit die Vorstellung von Kunst als etwas Erhabenem und enttäuschen die Erwartungshaltung des Besuchers, der sich schicksalergeben in die ihm zugewiesene Rolle dessen gefügt hat, der nur durch den Kauf von Surrogaten an der Kunst teilnimmt. Eucker/Tielmann bieten ihm dafür „echte“ Kunst, die lediglich in Form ihrer Surrogate vorliegt... Die verwirrende Umkehrung von Kunst und Kitsch/Surrogat verweist auf die enge Wechselbeziehung zwischen beiden, wie auch auf die Gefahr, dass der Kunst im musealen und Ausstellungsbereich ihre Verkitschung droht: berühmtester Fall ist Leonardos „Mona Lisa“ im Louvre. Zentrum der Installation ist ein oktogonaler Pavillon auf Kunstrasen, dem eine weiße Gartenbank zugestellt ist. Vor den musealen Wänden der Studiengalerie sind Drahtseile gespannt, die sowohl auf Unantastbarkeit der oftmals die Wände bekleidenden Kunstwerke anspielen, als auch das Rasengrün eingrenzen und ihm den vagen Anschein eines abgegrenzten und gesicherten Aussichtsplateaus verleihen. Da ein weiterer Ausblick versagt bleibt, dient sich ein Einblick an. Im Norden, Süden, Westen und Osten sind Feldstecher angebracht, die nicht zu touristischem Ausspähen taugen, sondern auffordern zum voyeuristischen Einblick in das Innenleben des Kiosks, dessen Gegenstand die Kunst und die Künstler, bzw. deren Multiples sind. Die touristische Attraktion vermengt sich mit der Kunst-Attraktion: so wie der Tourist auf einer Aussichtsplattform im Gebirge mittels Fernglas und Führer die Gestalt, die Namen und die Höhe der umliegenden Berge sich anzueignen versucht (ein verzweifelter Versuch der Domestizierung durch Benennung), so kann der Kunstbetrachter sein Glück mit den durch die Hüttenfenster zu erspähenden Multiples versuchen, die in der schrebergartenartigen Behausung wie zum Verkauf ausliegen. Eucker/Tielmann benutzen für ihre Multiples nicht nur aus der Kitschindustrie wohlbekannte Bildträger, sie verkitschen sich selbst schonungslos in den auf die Träger applizierten Bildern. Harmlos-anekdotisch und rührend-liebenswürdig wirken die Abbildungen von Eucker/Tielmann auf den Multiples nur auf den ersten Blick, beispielsweise auf den Schneekugeln, wo sie sich bei einer Schneeschipp-Pause passend zum von ihnen geschaffenen Schneekugel-Kontext darstellen. Die Birkenscheibe zeigt sie beim Durchsägen eines Birkenstammes, quasi als Beleg für einen zur Herstellung dieses Multiples notwendigen Arbeitsgang. Die Birkenscheibe dient als Hinweis dafür, an einem bestimmten Ort der Natur gewesen zu sein, die Verwendung „echten“ Holzes unterstreicht die Naturnähe und soll der (kitschigen) Unterstellung Vorschub leisten, die Käufer der Birkenscheibe habe diese gewissermaßen selbst dem Wald als Trophäe entrissen. Die sägenden Eucker/Tielmann unterstützen diese kitschige Illusion in ihrer extrem künstlich wirkenden fotografischen Selbstdarstellung sie treiben den Teufel mit Beelzebub aus. Von ungemütlich penetranter Allegorik sind die Bildprogramme auf dem Stickbild und den Tellern. Die Teller zeigen Teile eines vegetativen Zyklus, der mit dem Aussäen des Korns beginnt, in einem frugalen genrehaften Mahl mit dem Verzehr des Brotes gipfelt und im dritten Bild heimtückisch gebrochen wird: unsäglich banal, trocknen sie ihr benutztes Geschirr ab und enttäuschen unsere (kitschige) Hoffnung auf eine symbolträchtige Fortsetzung der Geschichte. Im Karton präsentieren sich Eucker/Tielmann gemeinsam auf der notwendigen Vorlage mit der notwendigen Vorlage mit der dazugehörigen Portion Wolle als Stickbild. Die Darstellung der beiden am Spinnrad nährt die (kitschige) Vorstellung, die abgebildeten, zu verspinnende Wolle würde dem käuflich zu erwerbenden Endprodukt zugrunde liegen. Abgesehen von der allegorischen Bedeutung des Spinnens (das die „vita activa“ versinnbildlicht) entsteigt dem Stickbild ein kleinkarrierter Mief, den die braunkarrierten Pantoffeln der beiden als Inbegriff aller Spießigkeit auf die Spitze treiben. Alle Situationen, in denen sich Eucker/Tielmann darstellen, wirken extrem künstlich und gestellt. Etwas unbeholfen, naiv und brav stellen sich die beiden Akteure bei ihren Handlungen dar. Scheinbar konzentriert, aber ohne innere Anteilnahme zu zeigen, machen sie einen sie stark objektivierenden Eindruck, wobei ihre „Tracht“ (rote Overalls und Pantoffeln) ihre artifizielle Erscheinung noch steigert. Vermeintlich Idyllisches wird in seiner Überzeichnung als Ausgeburt des Kitsches entlarvt. Die „heile Welt“ wirkt unecht, unglaubwürdig und künstlich, wie auf der Ansichtskarte die Eucker/Tielmann wie nach vollbrachter Tagesmüh selbstzufrieden in der abendlichen Sonne sitzend vor „ihrem“ oktogonalen Pavillon auf der weißen Gartenbank zeigt. In ihrem Video „Tanz“ verlassen sie die Pseudo-Idylle und die Domäne des Kitsches, von dem touristische Tanzveranstaltungen, wie die Präsentation „echter“ „Tiroler Evenings“ oder Eingeborenen-Stammestänze längst infiziert sind. Der Kontamination durch Verkitschung setzen sie Eigentlichkeit entgegen. Sie drehen sich (wie beim Bärentanz „von einem auf das andre Bein“) um sich selbst und thematisieren den Tanz in seiner reduziertesten Form als Ur-Handlung. Schon nach wenigen Minuten beginnen die beiden Tänzer, aus sich herauszutreten; ihr Tanz entwickelt sich von alleine aus der ganz summarischen und primitiven Urform, die Ek-Stasis nimmt zu, spielerisch ergeben sich allmählich körperliche Bezüge, gleichsam eine Choreographie. Als ob die beiden Akteure ihre Selbst- und Fremdbestimmung als fetischisierte Kult- und Kitschobjekte abstreifen und von sich werfen müssten, unterziehen sie sich in ihrem Tanz als abschließendem Höhepunkt einer gründlichen kathartischen Reinigung, deren Authentizität beim Betrachter intensive Anteilannahme auslöst. Inmitten des Dreiecks, das von Gilbert und George und ihrem Konzept der „living sculpture“ , von Jeff Koons mit seinen unsäglichen Kitschobjekten und von Guillaume Bijl mit seinen realitätsgetreuen Environments gebildet wird, haben sich Andreas Eucker und Frank Udo Tielmann eine eigenständige, neue Position aufgebaut. Hans-Michael Herzog | |||||||||||